Neue Zürcher Zeitung

Zusammenfassung des Artikels „Der Sozialismus kehrt schleichend zurück“

Morten Freidel, NZZ, 22. April 2025

 

Der Autor beschreibt eine stille, aber beständige Verschiebung westlicher Demokratien in Richtung eines neuen, demokratisch verbrämten Sozialismus. Gemeint ist weniger die klassische Verstaatlichung à la Sowjetunion, sondern ein umfassendes Egalitäts‑ und Vormundschaftsdenken, das Gesellschaft, Wirtschaft und kulturelle Debatten durchdringt.

  

1. Ideologischer Nährboden

  • Vergessen der Freiheit: Weite Teile des bürgerlichen Lagers hätten ihre historisch gewachsene Skepsis gegenüber staatlicher Bevormundung eingebüßt.
  • Popkulturelle Verklärung: Serien‑Ästhetik, Retro‑Romantik und Influencer‑Chic präsentieren sozialistische Symbolik als cool; die realen Grausamkeiten (Mauer, Gulag, Kulturrevolution) treten in den Hintergrund.
  • Linkspopulistische Narrative: Jüngste Forderungen – z. B. Abschaffung des Leistungsprinzips in Schulen – stellen Gleichheit der Ergebnisse über Chancengleichheit.

2. Ökonomische Faktenlage

  • Staatsquote auf Rekordniveau: Frankreich, Belgien, Italien ≥ 55 % des BIP; Deutschland knapp 50 %. Jede Rezession führt zu weiteren Ausgaben‑ und Umverteilungsrunden.
  • Wachsende Beschäftigung im öffentlichen Dienst und steigende Sozialtransfers entkoppeln Einkommen zunehmend von marktwirtschaftlicher Wertschöpfung.
  • Interventionsspirale: Preisdeckel, Subventionen (etwa geplante Strompreis‑„Deckel“ für die Industrie) und neue Bürokratien erzeugen immer neue Marktverzerrungen, die weitere Eingriffe rechtfertigen.

3. Theoretische Einordnung

  • F. A. von Hayek diagnostizierte bereits 1944 („Der Weg zur Knechtschaft“), dass Wohlstand die Nachfrage nach Umverteilung fördert, wodurch Liberalismus am eigenen Erfolg erodiert.
  • Ludwig von Mises sah „partielle Planwirtschaft“ als Einbahnstraße: Sobald Preise politisch manipuliert werden, müssen Folgemärkte ebenfalls reguliert werden, bis Entscheidungsfreiheit erlischt.
  • Das heutige „vorsorgende“ Staatsverständnis erfüllt genau dieses Muster – getrieben nicht nur von linken, sondern auch von konservativen Kräften, die Wähleransprüche bedienen.

4. Politisch‑kulturelle Konsequenzen

  • Meinungsfreiheit unter Druck: Ein „regierungsfreundliches Vorfeld“ aus Aktivisten, NGOs und Leitmedien brandmarkt Abweichler als unsolidarisch oder „rechts“. Jüngste Shitstorms gegen liberale Diskussionsveranstaltungen zeigen die Dynamik.
  • Demokratischer Sozialismus durch die Hintertür: Formal bleibt der Markt bestehen, faktisch wird er jedoch durch Steuer‑, Abgaben‑ und Regulierungsdichte gelenkt; Eigentum wird über Auflagen und Transfers de facto sozialisiert.

5. Fazit und Warnung

Der Sozialismus kehre nicht mit roten Fahnen, sondern „unter dem Banner der Freiheit“ zurück. Wer die offene Gesellschaft bewahren wolle, müsse das Primat individueller Verantwortung verteidigen, Staatsausgaben deckeln, marktwirtschaftliche Preissignale respektieren und intellektuelle Vielfalt fördern. Andernfalls drohe ein schleichender Verlust jener politischen und wirtschaftlichen Freiheitsräume, denen der Westen seinen Erfolg verdankt.

 

 

FDP

Ausschnitt aus:

WIRTSCHAFTSWENDE DEUTSCHLAND – KONZEPT FÜR WACHSTUM UND GENERATIONENGERECHTIGKEIT

(Scheidungspapier)

Von Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen

 

Marktwirtschaft als Treiber der Erneuerung

Für ein höheres Potenzialwachstum in Deutschland bedarf es umfassender angebotspolitischer Maßnahmen. Schon im Sommer hat die Bundesregierung in ihrer Wachstumsinitiative Maßnahmen beschlossen, die einen ersten Impuls für mehr Wachstum setzen könnten. Um mittelfristig in Deutschland sichtbar höhere Wachstumsraten zu erreichen, müssen Tempo und Ambition der Anstrengungen aber signifikant erhöht werden. In der wirtschaftspolitischen Debatte stehen sich dabei in Deutschland aktuell zwei unterschiedliche Denkrichtungen gegenüber:

 

Vertikale Industriepolitik durch staatliche Feinsteuerung über kreditfinanzierte Subventionen und selektive Regulierungen: Diese Denkrichtung setzt maßgeblich auf staatliche Technologieselektion und die damit verbundene Lenkung des Ressourceneinsatzes vorrangig durch Verbote und Subventionen. Die Wirtschaft soll sich im Detail an den Vorstellungen und Zukunftsideen der Politik ausrichten, die so die jeweiligen Gewinner und Verlierer festlegt. Je nach politischer Ausrichtung wird die wirtschaftliche Entwicklung dann (nicht immer konsistenten) politischen Zielen untergeordnet. Dieser Ansatz bestimmt zentral festgelegte „Transformationen“, welche die Gesellschaft durch staatliche Lenkung durchlaufen soll. Er ist zugleich oft durch den Wunsch begleitet, bestehende Strukturen und Industrien zu konservieren und vor dem internationalen Wettbewerb abzuschirmen, beispielsweise durch einen „Industriestrompreis“ oder Abwrackprämien zugunsten von E-Autos. Die vertikale Industriepolitik konzentriert sich dabei traditionell auf größere Unternehmen meist auch mit den stärksten Interessenvertretungen (wie Intel oder Thyssen-Krupp), vernachlässigt hingegen den Mittelstand, das Handwerk und insbesondere neue und junge Unternehmen. Durch die erhöhte Regulierungsdichte und Bürokratiekosten schwächt sie zugleich den Wettbewerb als Innovationstreiber, da neu in den Markt eintretende, bestehende Marktpositionen bestreitende Jungunternehmen diese Regulierungs- und Bürokratiekosten nicht tragen können. Weil er mit umfassenden (Dauer-)Subventionen einhergeht, belastet dieser Ansatz die öffentlichen Haushalte zusätzlich und gefährdet die Solidität der öffentlichen Finanzen. Mehr noch: Da die Technologien und Zeitgeist sich permanent weiterentwickeln, sind Entscheidungen zur selektiven Intervention meist mit dem Zeitpunkt ihrer Umsetzung schon veraltet und tragen Entscheidungen und Machtstrukturen von gestern ins Morgen fort. Im Ergebnis führt dieser Ansatz zu erhöhter wirtschaftspolitischer Unsicherheit – Unternehmen investieren opportunistisch, um von kurzfristiger Förderung zu profitieren, entwickeln ihre Strukturen aber letztlich am Markt vorbei – was zu weiteren Subventionsappellen oder gar der Gefährdung des gesamten Geschäftsmodells führt, wenn die Realität sich verändert. Andere Unternehmen warten in Hoffnung auf weitere Subventionen ab. Doch weder Opportunismus noch Attentismus stärken die Wachstumsbasis einer Volkswirtschaft nachhaltig.

 

Marktbasierte, diskriminierungsfreie und somit technologieoffene Angebotspolitik durch umfassende Verbesserungen des Ordnungsrahmens (= Soziale Marktwirtschaft): Gemäß dieser Denkrichtung stellt der erste Ansatz aufgrund der unvermeidbaren Informationsnachteile des Staates unrealistische Ansprüche an die staatliche Steuerungsfähigkeit. Jede politische Technologieentscheidung, gleich ob direkt durch Verbote und Regulierung oder indirekt durch Subventionen, verhindert potenziell die Entwicklung weiterer Alternativen und führt zu unnötig hohen Regulierungs- und Vermeidungskosten, die sich nachteilig auf die Wirtschaftsdynamik auswirken. Zudem stellt sich häufig im Nachhinein heraus, dass Politiker auf die falschen Industrien und Technologien setzen. Stattdessen besinnt sich dieser Ansatz auf das deutsche Erfolgsrezept, durch eine Verbesserung der allgemeinen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen die Attraktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts umfassend und technologieoffen zu stärken. Er setzt, wo immer möglich, auf Preissignale und marktliche Ressourcenlenkung, um die Effizienz der deutschen Volkswirtschaft durch bessere Investitions- und Arbeitsanreize zu verbessern und so das Produktionspotenzial zu stärken. Zugleich setzt der Ansatz auf wirtschaftspolitische Maßnahmen mit doppelter Dividende, also auf potenzialstärkende Maßnahmen, die insgesamt die öffentlichen Haushalte entlasten. Der Ansatz ist kleinteiliger (Karl Schiller: „Bauchladen der Angebotspolitiker“) und ergebnisoffen; er widerspricht damit oft den Erwartungen der politischen Öffentlichkeit nach „schnellen Lösungen“, einem „Pakt“ oder einem „Masterplan“. Deutschland kann den strukturellen Herausforderungen für das Wirtschaftswachstum und die öffentlichen Haushalte nur dann erfolgreich begegnen, wenn es sich wieder auf die ordnungspolitische Tradition der Sozialen Marktwirtschaft besinnt. Das ist nicht zuletzt deswegen von zentraler Bedeutung, weil mittlerweile die politisch induzierte Unsicherheit und das damit einhergehende rationale Abwarten der Investoren und Unternehmen ein Haupthindernis für die Dynamisierung der Wirtschaft darstellen. Neue Maßnahmen bewirken daher nur dann den erhofften Erfolg, wenn sie sich in ein belastbares Gesamtkonzept einfügen, das über mehrere Legislaturperioden von der Mitte der Gesellschaft getragen werden kann.

 

 https://www.fdp.de/sites/default/files/2024-11/wirtschaftswende-deutschland.pdf